Juli 5, 2022

Wie schafft man das

Erfolge haben als Radprofi – das ist ein langer, schwerer Weg. Das beschäftigt auch unsere jungen Teamfahrer. Es gibt kein „Allgemeinrezept“, und doch haben junge Talente viele Fragen. Wir haben zugehört, wie Youngster Corbinian mit unseren beiden italienischen Vollprofis Pippo und Liam spricht.

Radprofi werden

Ein langer Weg

Was uns im Trainingslager sehr begeistert hat: das Zusammenspiel der jungen und älteren Fahrer, der stilleren und der weniger stillen Charaktere. Und wie sich die erfahrenen Radprofis mit den Youngstern auseinandersetzen. Schließlich gibt es da viele Fragen, die einem zu Beginn im Kopf herumschwirren. Wenn man weiss, dass man radfahren will – aber nicht so richtig, wie man im Rennen fährt oder sein Leben auf dem Rad bestreitet. Corbinian zum Beispiel fährt in diesem Jahr bei den Pushbikers seine ersten Renneinsätze. Seine Fragen an Pippo und Liam findet ihr hier.

C: Eine Woche Trainingslager, dann direkt weiter nach Kroatien zu den nächsten Rennen, die sich über zwei Wochen ziehen. Wie macht ihr das, wenn man mehrere Wochen nicht zu Hause ist?

P: Ich versuche, so organisiert zu sein, dass ich die gleiche Verfügbarkeit wie zu Hause habe, sowohl für das Training als auch für das Privatleben.

L: Ich denke, man muss sich darauf konzentrieren, weil es ein Job ist, und das Beste aus jeder einzelnen Chance zu machen.

C: Wie lässt sich dieser enorme Zeitaufwand mit einer Familie unter einen Hut bekommen?

P: Ich nutze jeden Augenblick, den ich mit meiner Familie verbringen kann, und genieße diese Zeit. Dann gibt es glücklicherweise soziale Netzwerke, die mir das Gefühl geben, weniger weit weg zu sein.

L: Für mich ist es weniger schwierig, weil ich keine Kinder habe. Aber ich finde es trotzdem anstrengend, weil ich von meiner Familie getrennt bin. Wenn ich wieder zu Hause bin, nehme ich mir bewusst Zeit, auch für meine Eltern.

C: Und wenn ihr so lange nicht da seid, was bedeutet das für Familie oder Freundin?

P: Das bedeutet, dass meine Frau versuchen muss, alles zu Hause ohne mich zu machen. Zum Glück wohnen unsere Eltern nicht allzu weit weg und helfen ihr. Wie ich schon sagte, versuchen wir immer noch, per Videoanruf in Kontakt zu bleiben, damit wir die Entfernung nicht spüren. Wenn ich acht Stunden pro Tag arbeiten würde plus ein bis zwei Stunden Hinweg zur Arbeit, dann könnte ich unser Kind nicht so sehr genießen. Ich bevorzuge also meine Art von Leben als Radfahrer, denn wenn ich zu Hause bin, bin ich immer verfügbar.

L: Meine Freundin akzeptiert meinen Lebensstil, und man muss Opfer bringen, um Ergebnisse zu erzielen. Mit einer Truppe wie der diesjährigen bei den Pushbikers ist es für mich leichter, von zu Hause weg zu sein. Was meinst du dazu?

C: Hm, wenn man es so gesehen betrachtet, ist das vielleicht wiederum ein großer Vorteil für alle Beteiligten.

C: Am Anfang ist es noch nicht das große Thema, aber ich denke schon darüber nach, wie es finanziell ist, wenn man Radprofi ist. Lässt sich ein Leben vom Radsport finanzieren?

P/L: Wenn man nicht gerade ein Champion ist, ist es schwierig, ein ganzes Leben mit dem Radsport zu finanzieren. Man verdient das Geld nicht wie im Fußball. Das bedeutet, dass man, solange man aktiv ist, vom Radsport leben kann, aber dann muss man sich eine Arbeitsmöglichkeit schaffen. Denn eine Karriere als Sportler ist nicht sehr lang. Das heisst aber nicht, dass du es in den ersten Jahren nicht versuchen solltest, auch wenn du dafür den Gürtel enger schnallen musst.

C: Wie strukturiert ihr euer Training als Vollprofi? Liegen mehr Intervalle oder eher längere Grundlagen im Fokus ?

P: Der Radsport hat sich verändert und man braucht mehr Intensität als lange Strecken. Das heißt nicht, dass man nicht beides machen muss, aber ich konzentriere mich mehr auf hochintensive Intervalle. Ich bevorzuge Sprints.

L: Auch bei mir: Kurz, aber intensiv wie ein guter Bahnfahrer.

C: Wie schafft man es, sich das ganze Jahr zu motivieren – besonders natürlich in den Monaten der Rennsaison? Habt ihr da Ratschläge?

P: Ergebnisse und Leistungen motivieren mich. Ein Ratschlag, den ich geben kann: Umgib dich mit Menschen, die dich unterstützen, und schäm dich nicht, um Hilfe zu bitten, wenn sie dies tun.

C: Wie kann man lernen, ein Rennen zu „lesen“?

L: Es gibt nicht viele Tipps: Man muss viele Rennen fahren und zuhören und von älteren Fahrern wie uns beiden ‚den Trick klauen‘. Bescheidenheit und die grundlegende Bereitschaft, zu lernen, sind sehr hilfreich.

C: War der Anfang eurer Radsportkarriere öfter von Misserfolgen geprägt? Und wie geht man am besten damit um – denn man hat ja noch nicht so viel Selbstbewusstsein oder auch Rückhalt.

P: Wir haben beide die gleiche Erfahrung gemacht: nach einer Enttäuschung oder Misserfolg haben wir uns gedacht, warum machen wir das eigentlich. Und dann wird einem klar: wir lieben das Radfahren und das wiegt alle Enttäuschungen und schlechten Momente auf. Natürlich haben wir auch eine Menge Leute, die uns unterstützen und an uns glauben, und das hilft immer weiter. Meinst du, dass moralische Unterstützung dir helfen kann?

C: Klar, moralische Unterstützung ist für mich ungemein wichtig. So kompensiere ich Frust und Ärger, wenn etwas nicht nach Plan lief.

C: Wie seht ihr das – oft hört man ja man sollte alles ruhig angehen und sich nicht „verfeuern“. Stimmt das?

P: Da muss ich erneut sagen: Der Radsport verändert sich, und viele junge Leute sind jetzt an der Spitze. Aber ich bin nach wie vor der Meinung, dass sich jeder Zeit nehmen muss, um nicht auszubrennen. Auch mental. Bleib also konzentriert, aber überstürze nichts: Setz dir ein Ziel.

L: Ja, das ist genau das, was ich auch denke. Du musst die richtige Zeit dafür finden.

Hast du momentan ein klares Ziel?

C: Sportlich gesehen ist es für mich schwierig, diese Saison ein klares Ziel zu setzen – also was das Siegen angeht. Aber meine persönliche Zielsetzung besteht darin, aus dem Jahr so viel wie möglich zu lernen und das Team in all meinen Möglichkeiten zu stärken.

C: Wie regenerierst du dich am besten nach mehrtägigen Rundfahrten?

P: Mit einem Aufenthalt bei meiner Familie, ein paar Massagen, ein paar Tage Kaffeefahrt und dann fange ich an, die neuen Herausforderungen vorzubereiten.

C: Wie kann man sein Rad weiter verbessern?

P/L: Wir verlassen uns auf kompetente Leute. Wir haben zwar die Erfahrung, um selbst an unserem Rad zu schrauben, aber der Radsport verändert sich auch in dieser Beziehung stark und es ist sehr nützlich, eine spezialisierte Person an der Seite zu haben.Mit einer solchen Person sollte man einen guten Dialog führen, dein eigenes Feedback ehrlich weitergeben. Finde einen guten Fahrrad Ausstatter, wenn du einen brauchst, da können wir dir auch Empfehlungen geben.

C: Wie lange möchtet ihr noch radfahren?

P: Meine Karriere neigt sich dem Ende zu. Aber solange ich noch Spaß und Leidensdruck habe, werde ich weitermachen! Aber dann würde ich gerne meine Erfahrung in die Waagschale werfen und jungen Leuten wie dir die Kunst des Radfahrens beibringen. Hättest du gerne einen Sportlichen Leiter wie mich?

C: Ein sportlicher Leiter ist für mich eine Respektsperson versus Chef! Gleichzeitig aber auch ein Freund der mich in schwierigen Momenten, wie Niederlagen, aufbauen kann. Ja, ich denke, dass das eine gute Rolle für dich wäre.

Und wie sieht es bei Dir aus mit der Dauer deiner Karriere, Liam?

L: Ich möchte radfahren, bis ich meine Ziele erreicht habe – das sind prioritär die Olympischen Spiele in Paris 2024!

Credits

Photo

— Urs Golling
Photographer

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