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"Man sieht sich immer zweimal im Leben". Und auch dann kann man die gleichen Werte teilen. Roy Eefting als neuen Fahrer für 2023 begrüßen zu können, führt uns zu einem Wiedersehen mit Nick Stöpler, ehemaliger Bahnradprofi, Pushbiker und seit kurzem niederländischer Nationaltrainer. Ein Gespräch über die Bedeutung von Wohlbefinden, positiven Einfluss auf andere und warum Bahnradsport wie ein Schachspiel ist.
Wir hören eine Stimme aus dem Off, mit etwas gebrochenem Akzent, und sehen dann einen jungen Mann, der sein Rad vor sich schiebt, in leichtem Schneetreiben vor dem abgesenkten Berliner Velodrom steht, den Blick fest in die Kamera gerichtet. Es ist Nick Stöpler während des Berliner Sechstagerennens 2018. Er nimmt den Zuschauer mit in diese ganz eigene Welt, die Treppen hinunter und hinein in die Radrennbahn. Wir sehen die Fahrer über die Bahn fliegen, die Zuschauer auf den Tribünen, die Fahrerkabinen in den unterirdischen Katakomben, die enge Gemeinschaft der Pfleger mit ihren Athleten. Nick lässt uns teilhaben – dass jeder gerne gewinnen möchte, dass die eigenen Beine sich gut oder schwer anfühlen können und dass es hilft, einen richtig guten Kampf zu machen, wenn man es mit Leidenschaft macht. Für ihn geht es um das schöne Gefühl, um Familie und gute Unterstützung – denn das ist besser, als wenn es kein Spass ist und nur um die Ergebnisse geht.
„Man trifft sich zweimal im Leben“ – ich liebe dieses Sprichwort und es ist absolut wahr, sagt Nick, als wir uns im Oktober 2022 wiedersehen. Sechs Wochen vor den Bahn-Weltmeisterschaften in Paris wurde er zum niederländischen Nationaltrainer für Ausdauer ernannt. Wir haben ihn im Fernsehen gesehen, wie er seine Athleten begleitete, sich neben der Bahn tief in die Knie ging um seinen Fahrern die kleine Tafel mit den Zeiten zu zeigen, nach erfolgreichen Rennen wie der Bronzemedaille von Roy Eefting in die Hände klatschte.
„Ich bin sehr glücklich, wieder Teil der Pushbikers zu sein, wenn auch nur indirekt, denn die schönste Zeit in meiner Karriere waren die Jahre, in denen ich mit Grasi um die Welt gereist bin“. Viele Nächte bei Sechstagerennen haben diese Zeit geprägt, aber wenn man ihn nach seinem Lieblingsmoment bei den Pushbikers fragt, kommt wie aus der Pistole geschossen: Bendigo Madison. „2018 sind wir drei Runden auf der über 300 Meter langen Strecke gefahren – zur ersten Überrundung setzten wir schon nach 40 Runden an. Ich weiß noch, dass ich Grasi umbringen wollte, weil ich dachte, es sei eine absolute Selbstmord-Aktion. Wir hingen dort viele Minuten und viele Runden lang alleine vor dem Feld, aber am Ende haben wir die Runde geholt. Ich glaube, wir hatten das beeindruckendste Rennen, das Publikum hat uns beide stark angefeuert, nicht nur die australischen Fahrer. Wir waren schon zwei Wochen vorher dort und haben hier gegrillt und dort gegrillt… Die Vibes, die Stimmung und die gemeinsame Reise waren unglaublich.“
Und da sind wir wieder: bei einer der grundlegenden Fragen, die uns schon seit so lange beschäftigt und auch antreibt: Wie sollte der Profiradsport aussehen?
„Man kann es aus verschiedenen Blickwinkeln bestrachten. Wenn es nur darum geht, Ergebnisse zu liefern und ein Auskommen zu haben, sollte man Radsport wie ein Unternehmen führen. Aber gleichzeitig denke ich, dass man sich im Leben immer die Frage nach dem Warum stellen sollte: Warum tut man, was man tut, was ist wichtig? Letztendlich denke ich, dass es auf einen selbst zurückkommt: gemeinsam glücklich sein, anderen Menschen helfen, andere Menschen inspirieren, Gemeinschaft schützen und stärken. Und gemeinsam Freude am Leben zu haben. Das ist das Beste, was man im Leben haben kann.“
Wir erinnern uns, dass Nick schon in seiner aktiven Zeit immer ein Fahrer war, der Menschen für seinen Sport begeistern wollte. Mit dem eigenen Handeln, aber auch in der Kommunikation; rückblickend scheint dies bereits die Grundlage für seine heutige Arbeit als Coach zu sein. Er bezieht sich auf ein Zitat des Dalai Lama. „Alle Menschen sind gleich: Wir alle streben nach Glück und wir alle versuchen, Leiden zu vermeiden. Wenn man durch diese Linse schaut, hat jeder eine ähnliche Geschichte. Man kann sich darauf beziehen: Warum fährst du Rad und wie vermeidest du dabei Leiden? Und wenn du deine Geschichte erzählst, warum du Radrennen liebst und warum dich das glücklich macht, dann kann das sogar jemand verstehen, der sich nicht für den Radsport interessiert. Sie verstehen: „Ach, deshalb fährst du mit so einem irren Tempo im Kreis“. Es lässt sich eine Verbindung herstellen und sie können wiederum mitteilen, was sie im Leben tun, um glücklich zu sein und Leid zu vermeiden.„
Gleichzeitig ist Nick klar, dass es nie nur der Radsport war, der ihn glücklich machte. Wie bereits der Film von 2018 zeigt, gibt es weitere Aspekte einer Radsportkarriere, die einen selbst als Person prägen. „Die Begegnung mit anderen Kulturen, Sprachen, Menschen. Das gibt dir eine Perspektive, um für alles im Leben dankbar zu sein. Die Angst, die ich immer habe, ist, dass ich die Dinge, die ich habe, als selbstverständlich ansehe. Wenn man an andere Orte reist und andere Menschen trifft, lernt man wirklich mehr über sich selbst und über alle guten Dinge, die man hat (Familie, Gesundheit, Freunde). Vor allem das Reisen hat mich als Person geprägt.“
Und wie genau kann man mit den eigenen Erfahrungen aus dem Profisport umgehen? Für viele Sportler ist die unmittelbare Zeit nach ihrer Karriere besonders schwierig. Wenn es darum geht, ein „normales Leben“ zu führen, sich nicht mehr nur auf den Körper und die Leistung zu verlassen, sich vielleicht neu oder anders zu orientieren. In Nicks Fall zieht sich der rote Faden weiter durch, von der Trainertätigkeit, die er bereits zu aktiven Zeiten ausgeübt hat, über das Coaching im Unternehmensumfeld bis hin zur großen Aufgabe als Nationaltrainer, die natürlich mit Erwartungen verbunden ist. Nach nicht einmal zwei Monaten konnte Nick noch nicht den Fussabdruck hinterlassen wie vielleicht andere Trainer, die seit Jahren mit einer Mannschaft auf dem Weg nach Paris 2024 unterwegs sind. Aber der Prozess hat begonnen – Medaillen bei den Olympischen Spielen sind das erklärte Ziel. Und doch: „Auf einer persönlicheren Ebene: das Beste aus den Athleten herauszuholen. Radfahren soll für sie eine schöne Reise sein. Ihr Potenzial freisetzen. Ich denke, Spitzensport ist eine großartige Plattform für solche Ansätze. Wenn sie mit sich selbst zufrieden sind, wenn sie wissen, wer sie sind und warum sie es tun und welche Bedeutung es für andere hat, dann wäre ich super glücklich.“
Das Wohlbefinden steht also bei seiner Arbeit für die Nationalmannschaft im Vordergrund? „Ich würde sagen, Wohlbefinden steht an erster Stelle – das ist etwas, das ich wirklich zu schützen versuche. Wenn ich mir die Fahrer ansehe, versuche ich zu prüfen, wie gut sie sich fühlen, ob sie gut auf sich selbst aufpassen, wie viel Energie sie haben. Wie sehr sind sie zeitlich eingespannt, schlafen sie gut, sind sie glücklich? Ich versuche, für eine gute Stimmung im Team zu sorgen.“
Wenn Nick über das Bahnfahren spricht, schwingt in jedem Wort Begeisterung mit. „Ich mag die Geschwindigkeit, die Technik, die Strategie und die Eleganz. Wenn die Straße rau ist, dann würde ich Bahnradsport als anspruchsvoll bezeichnen, eher wie ein Schachspiel. Bei einer Geschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde, dem Durchschnitt eines Madison-Rennens zum Beispiel, kann man wirklich nicht mehr korrigieren. Alles muss richtig und durchdacht sein. Jeder Zug muss standardisiert sein und man muss wissen, wie man ihn richtig ausführt.“
Für ihn ist Roy Eefting einer der besten Sprinter in der aktuellen Weltspitze. „Roy ist wahrscheinlich der beste Scratch-Fahrer der Welt, aber auch eine wirklich gute Person, die man in einem Team haben kann. Ich hoffe sehr, dass Roy es genauso genießen kann, Teil der Pushbikers zu sein, wie ich es getan habe – und ich glaube, dass es einen weiteren Schritt in seiner Radsportkarriere bringen kann und dass Rennen wie zum Beispiel die Christimas Carnivals in Tasmanien, die wir früher fuhren, von großem Wert für seine Leistungsfähigkeit sein können.“
Die Vorbereitungen für den Rennkalender 2023 sind in vollem Gange – für die Pushbikers Straßenprofis, aber auch für Roy Eefting, Liam Bertazzo und nicht zuletzt Pippo Fortin auf der Bahn. „Es ist unheimlich aufregend, durch Roy wieder einen direkten Draht zu Nick zu bekommen. Da kommen viele Erinnerungen hoch. Der Bahnradsport wird immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben, keine Frage“, freut sich Christian Grasmann, „und wir sind bereits im Gespräch mit unseren Rennveranstaltern im Ausland. Ich freue mich auf alles, was da wieder auf mich zukommt.“
Eines ist klar: Auch der Bahnradsport verändert sich. Blickt man zurück und gleichzeitig in die Zukunft, ergibt sich für Nick folgendes Bild. „Die Veränderung liegt vor allem im Kalender. Die UCI Track Champions League findet im Winter statt, während der Großteil anderer Bahn Veranstaltungen aus dem Winter verschwunden sind. Das hat eine große Auswirkung. Ich finde es gut und richtig, dass die UCI neue Wege ausprobiert, aber für mich persönlich ist es nicht mehr so interessant wie zum Beispiel bei den Sechstagerennen zuvor. Ich mache mir etwas Sorgen um die Aussichten des Bahnradsports, aber gleichzeitig bin ich mir sicher, dass es ein zukunftssicherer Sport ist. Es gibt viele Leute, die sich wieder Gedanken darüber machen, wie man diesen Sport an die Menschen bringen kann, wie man ihn vermittelt. Vielleicht möchten die Leute heute nicht mehr nachts fünf oder sechs Stunden lang im Velodrom sitzen, und das sechs Nächte hintereinander.“
Schlussfolgerung: „Leidenschaft und Spaß sollten eine der Grundlagen im Leben sein und ich denke, es ist ein Schlüssel für ein nachhaltiges Leben. Wenn du also wirklich etwas tun und dein Bestes geben willst, kommst du um Leidenschaft und Spaß nicht herum.“
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— Arne Mill
— Andreas Jacob |
— Royal Dutch Cycling Federation
— Zuperdehlie
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