– Es kommt wie es kommt –
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Der legendäre Ötztaler Radmarathon. Er ist ein Radsport-Monument mit seinen vier Alpenpässen, 227 Kilometern und 5.500 Höhenmetern. Auch für unseren Freund Helmut Trettwer. Ein Rennen, das ihn begleitet: 2020 als Hommage an das Leiden bei offenen Straßen und 2022 als er über drei Stunden solo von vorne fährt.
Der legendäre Ötztaler Radmarathon. Er ist ein Radsport-Monument mit seinen vier Alpenpässen, 227 Kilometern und 5.500 Höhenmetern. Auch für unseren Freund Helmut Trettwer. Ein Rennen, das sich von anderen unterscheidet, oder wie Helli sagt: „Der Ötztaler erdet dich“.
Wir blicken zurück: Im Jahr 2020 sollte der Ötztaler Radmarathon sein 40-jähriges Jubiläum feiern. Doch Corona macht auch dem prestigeträchtigsten Amateurrennen einen Strich durch die Rechnung. Keiner sollte die 238 km und 5.500 Höhenmeter in Angriff nehmen.
Wieso den Ötztaler Radmarathon nicht einfach für sich fahren? Entspannt an einem schönen Tag und mit minimal drei Kaffee-Stopps? So die Ursprungsidee von Helmut Trettwer.
Er hätte eigentlich erahnen müssen, dass sein entspanntes Vorhaben in Gesprächen mit seinem Team bald andere Ausmaße annehmen würde: „Plötzlich überlegten wir, dass es spannend sein könnte, die Runde möglichst schnell zu fahren und zu sehen, ob man bei normalem Straßenverkehr unter 7 Stunden bleiben könnte.“ Hatte doch der Vorarlberger Mathias Nothegger 2019 einen 17-jährigen Streckenrekord mit einer Zeit von 6:47 h. Mit – so kann man annehmen – akribischer Vorbereitung, perfekt abgestimmtem Training und Rennsituation. Bei Helli sollte nichts von dem gegeben sein – aber dennoch…
Am 16. August 2020 steht Helmut mit vier jungen Teamkollegen und Begleitfahrzeug (samt Filmer, Fotografen und Espressomaschine) um 5.30 Uhr in Sölden am stockfinsteren ‚Start‘ und ist voller Optimismus.
Der Auftakt war ein Traum. Kein Mensch unterwegs, die Pushbikers fahren das Kühtai im Sonnenaufgang hoch. Es ist der erste von den vier Pässen und mit 18%-Rampe der steilste. „Das Licht war so grandios, es war einfach nur schön.“ Die Stimmung: bestens. Das Team zieht, die Straßen sind frei – das sollte sich allerdings bald ändern.
In Innsbruck kommt es, wie man es von der Stadt eben kennt: Die Radfahrer sind schneller als die Autos. Der erste Filmriss. Dann geht es zum Brenner hinauf. Die Straße ist breit, man hat keine Chance, sich zu verstecken. Die Maloja Pushbikers stemmen sich gegen einen heftigen Gegenwind, fahren am Anschlag. Die 7 Stunden-Marke wackelt erstmals. Am Jaufenpass zieht es den jungen Fahrern den Stecker. Helli fährt alleine weiter. Hunderte von Motorrädern, Campern, Autos. Der Verkehr kostet ihn wichtige Minuten.
Die Kraft schwindet, der Geist wackelt – und das Timmelsjoch baut sich vor Helli auf. Sechs Kilometer vor der Passhöhe passiert dann einmal mehr das, was einen Rekordversuch ohne Straßensperrung so schwierig macht: Eine rote Ampel vor einer Baustelle. 1.5 Kilometer vor der Timmelsjoch-Passhöhe leuchtet am Ende des Tunnels ein Lichtlein. Für Helli ein typischer Rennradmoment:“Du quälst dich, du fluchst und zugleich genießt du jeden Tritt, jeden Blick hinaus in die Berge, ins Tal.“
Die Kraft schwindet, der Geist wackelt – und das Timmelsjoch baut sich vor Helli auf. Sechs Kilometer vor der Passhöhe passiert dann einmal mehr das, was einen Rekordversuch ohne Straßensperrung so schwierig macht: Eine rote Ampel vor einer Baustelle. 1.5 Kilometer vor der Timmelsjoch-Passhöhe leuchtet am Ende des Tunnels ein Lichtlein. Für Helli ein typischer Rennradmoment:“Du quälst dich, du fluchst und zugleich genießt du jeden Tritt, jeden Blick hinaus in die Berge, ins Tal.“
„Der Anreiz war, einfach mal loszufahren, sich nicht so viel Gedanken zu machen und vor allem diese Verbissenheit auszulassen. Die braucht es in unserem Sport nicht“, sagt Helli. „Wenn der Ehrgeiz dich blockiert, der Spass und die Leidenschaft weg sind, dann ist das eine Themaverfehlung.“
2020 war die Strecke Corona bedingt menschenleer, 2022 ist Helmut wieder in Sölden dabei und findet es irre, wie der Ötztaler von Teilnehmer über Betreuer und Zuschauer alle fesselt. Mit welcher Leidenschaft alle an den Start gehen, „und zwar vom Ersten bis zum Letzten.“ Eine gute Ausgangspostion für ihn. Am Abend vorher hatte er sein Rad geputzt, gegen 18 Uhr seine Startnummer abgeholt und nach einem mexikanischen Abendessen die Nacht auf dem Parkplatz im Auto verbracht. „Der Ötztaler war schon immer ein bisschen in meinem Hinterkopf geblieben, und ich war unsicher, ob ich dieses Jahr überhaupt starten soll. Dann dachte ich mir: fahr einfach und hab Spaß!“
Und genau das macht Helli an diesem 28. August 2022.
Nach etwas mehr als zwei Stunden Fahrzeit erfolgen bei Axams die ersten Attacken. Die ersten Gruppen sind weit aufgefädelt, das Tempo vor der Tiroler Landeshauptstadt ist enorm hoch. In Führung liegt mit einigen Sekunden Vorsprung Helmut Trettwer.
Schrecksekunde für den Führenden Helmut Trettwer in Innsbruck: Auf der nassen Bahnschiene rutscht er fast aus. Ein kurzer Griff aufs Knie, aber der 38-Jährige fährt weiter. Seinen Vorsprung auf die große Verfolgergruppe mit allen Favoriten baut er auf über drei Minuten aus. Dort befinden sich unter anderem Ex-Sieger Stefano Cecchini (ITA), die starken Deutschen Stefan Oettl, Martin Maertens und Alexander Schnerrow sowie der Tiroler Marathon-Crack Daniel Rubisoier.
Folgende Rennsituation nach einer Fahrzeit von drei Stunden beim Aufstieg zum Brennerpass: Während Helmut Trettwer (GER) seinen Vorsprung weiter ausbaut, hat sich der Italiener Andrea Bais auf die Verfolgung gemacht. Dahinter herrscht im großen Verfolgerfeld noch geruhsame Gelassenheit.
Die Spitzenfahrer haben den 37,5 Kilometer langen Brennerpass mit maximal 12 Prozent Steigung passiert. In Führung liegt weiterhin Helmut Trettwer mit einem Vorsprung von 8:20 Minuten auf eine kleine Verfolgergruppe um den Österreicher Philip Handl, Markus Hertlein (GER) und Handls Landsman Martin Ludwiczek.
Während sich viele Teilnehmer/Innen noch über den Brennerpass quälen, hat der Führende Helmut Trettwer den Jaufenpass passiert. Aber sein Vorsprung schmilzt. Die kleine Verfolgerruppe um Hans-Jörg Leopold, Robert Petzold, MTB-Weltmeister Alban Lakata, Daniel Federspiel machte an diesem Anstieg sieben Minuten gut und liegt nur noch 4:30 Minuten dahinter.
Das Timmelsjoch ruft und die lange Soloflucht von Trettwer ist vorbei. Laut Rennleiter hatte er sich bei dem Unfall in Innsbruck verletzt und er beklagte Knieschmerzen. Unterdessen setzte sich der Kanadier Jack Burke aus der jetzt siebenköpfigen Spitzengruppe ab, nur der Italiener Manuel Senni konnte ihm folgen.
Über 3,5 Stunden fährt Helli Kilometer für Kilometer vorne – alleine. Vor grandioser Kulisse. Mit Startnummer 4685 und einer Übersetzung von 53/39.
Wer ihn kennt, der weiss um seinen Grundsatz: lieber vorne sterben als hinten nix werden. „Das war schon immer mein Style, Rennen aggressiv zu fahren. Iwie hat es sich am Kühtai richtig angefühlt und am Timmelsjoch als falsch rausgestellt“, sagt er nachher. „Aber so wie ich gefahren bin, so hab ich Spaß am Sport und am Sonntag hatte ich viel Spaß und daher bin ich mit mir und meinem Rennen im Reinen.“
Als der spätere Sieger Jack Burke Helmut am Timmelsjoch in der Führung ablöst, klopft er ihm auf die Schulter und auch im Studio der Live Übertragung hört man in diesem Moment Applaus für Hellis große Leistung. Als 22. erreicht er nach 7:30 Stunden und 227 km das Ziel, vor Johnny Hoogerland, dem Gewinner aus 2021.
Wie sieht es aus mit dem Ötztaler 2023? „Gestern nie wieder, heute vielleicht nie wieder…. Es kommt, wie es kommt!“