Januar 24, 2023

Helden der Zukunft

Professionell radfahren und sich auch bildungstechnisch weiterentwickeln. Ein Parallelleben, das nur mit viel Verzicht funktioniert. Die Förderung von Spitzensport ist ein gesellschaftliches Thema, aber auch eines, das uns bei den Maloja Pushbikers umtreibt.

Worum geht es – um ein bedingungsloses Streben nach Erfolg oder um Persönlichkeit und Individualität? Mit Anregung unseres Pushbikers Max Benz-Kuch haben möchten wir einige Ansichtspunkte mit euch teilen.

Ein Plädoyer für Mut und Individualität.
Angeregt von Pushbiker Max Benz-Kuch

Spitzensport braucht Wandel.
Erfolg neu definieren

„Risiko. Irgendwo zwischen Angst und Zuversicht. Die Straße zur finalen Zielgerade, sie wird immer kürzer. Der Puls, jenseits der 180bpm, Adrenalin. Und immer die Sorge, sich im  Kampf des Pelotons zu verletzten oder gar schlimmer, sportlich zu versagen. Die Stunden auf dem Rad, sie verfliegen wie die Jugendjahre, die spannendste Zeit des Lebens.

In der Gegenwart verharrend, scheint die Zukunft so fern. Doch der Zwiespalt, er bringt die Angst immer wieder hoch. Die Gedanken an die nächste Klausur, die Absage zur Geburtstagsfeier der eigenen Freundin. Ein Parallelleben.

Warum ist es uns das wert?“

So der einleitende Paragraph eines längeren Features, das Max Benz-Kuch – im zweiten Jahr bei den Pushbikers und seit einigen Monaten Journalistik-Student an der Hochschule Macromedia Berlin – vor kurzem verfasst hat. Seine Zeilen haben uns aufhorchen lassen, denn auch wir als Radsport-Team sind Teil eins „Sport-Systems“, gebunden durch Regelungen und Lizenzen, aber auch durch den Druck nach sportlichem Erfolg. In diesem Kontext stellen auch wir uns immer wieder die Frage, welche Fahrer die „richtigen“ für die eigene Mannschaft sind. Um den Spagat zu schaffen: Erwartungen und Ziele leistungstechnisch zu erfüllen, und trotzdem die Fahrer als Persönlichkeiten zu fördern. Speziell die Überlegung, ob und wie Erfolg anders definiert werden kann, ist für die Maloja Pushbikers seit vielen Jahren allgegenwärtig.

Einer, der bereits auf viel verzichten musste und mit einem Kompromiss lebt, ist Paul Rudys, ebenalls seit 2022 im Pushbikers Kader. Der 24-jährige geht in seine sechste Saison als Profi und weiß Sport und Studium miteinander zu vereinbaren. Dies funktioniere allerdings nur mit „viel Verzicht “, erklärte er.

Auf Empfehlung kam er mit zwölf Jahren auf das seit DDR-Zeiten für Radsport renommierte Sportinternat-Cottbus. „Meine prägendste Zeit. Schulisch und sportlich war es nicht immer leicht, die Methoden waren ohne Frage: alte Schule“. Trotzdem konnte er seine duale Karriere konsequent verfolgen. Schloss seine Zeit als Juniorenfahrer schulisch mit dem Abitur und sportlich mit einem Profivertrag ab. „Erst nach dem Abitur merkte ich, dass im Männerbereich die Bildung schnell zu kurz kommt, da es wenig Möglichkeiten gibt“. Aus Liebe zum Sport fuhr Paul weiter, bis heute. Er lässt zwei Herzen in seiner Brust schlagen.

„Am Wochenende sein Leben für 50€ zu riskieren, um dann montags über Modellstädte der Zukunft zu diskutieren, ist schon irre! Aber dafür brenne ich.“

Entwicklungsmöglichkeiten

Mehr Helden für einen nachhaltigen
Mehrwert des Sports

Die Stimmen der Sportler selbst werden immer lauter, fasst Max Benz-Kuch in seinem Artikel zusammen: Abgehangen auf dem Weg zu sportlichen Höchstleistungen, stellte der Verein Athleten Deutschland e.V.  im August 2022 den verantwortlichen Institutionen die Gretchenfrage der Spitzensportentwicklung. Das systemkritische Papier stellt die Ausrichtung und Umsetzung staatlicher Sportförderung von Grund auf in Frage. Auch Leichtathletin Gina Lückenkemper, Deutschlands Sportlerin des Jahres 2022, übte im vergangenen Sommer Kritik: „Wenn man schon gut ist, wird man auch gut gefördert. Aber solange man sich auf dem Weg dorthin befindet, ist es schwierig.“ Einem Fan schrieb sie, dass gesellschaftliche Erwartungen voraussetzten, Halbprofis könnten mit Vollprofis mit-halten oder sollten diese gar besiegen.

Prof. Dr. Timo Stiller, ehemaliger Leichtathletik-Spitzentrainer, Sportwissenschaftler und Institutsleiter der Abteilung Sport und Bewegung an der PH Schwäbisch Gmund, plädiert gegen die reine Erfolgsorientierung im Spitzensport. Aus seiner Sicht bestehe in der gegenwärtigen Förderung des Spitzensports eine Erfolgsorientierung, „welche mündige (Athleten) im Gegensatz zu erfolgreichen Athleten verzichtbar macht“. Gegenüber dem Deutschlandfunk äußerte Stiller: „Je mehr es um den Erfolg geht, desto mehr wird ja der Weg dorthin und sogar der Mensch, egal.“

Zweigleisig fahren, neben dem Leistungssport auch nach Bildung zu streben, wie dies beispielsweise Paul Rudys oder Max Benz-Kuch praktizieren, erscheint vor diesem Hintergrund unmöglich. Ausser man befindet sich in der absoluten Top-Spitze, über die das System der Sportförderung entscheidet. Dabei ist es so wichtig, eine Gruppe der leistungsfähigsten und motiviertesten Menschen unserer Gesellschaft zu fördern, so auch die Ansicht von Prof. Dr. Stiller. Denn für ihn ist klar, dass die Ausrichtung des Spitzensports in Deutschland nie gesamtgesellschaftlich diskutiert wurde.

Entscheidend sind am Ende doch zwei Ebenen, die einander bedingen: welche Entwicklungsmöglichkeiten gibt es faktisch für Leistungssportler und welche Aufmerksamkeit wird Sportlern seitens der Gesellschaft gezollt. Bei internationalen Großevents wird genau auf den deutschen Medaillenspiegel geschaut, bei einer Fussball WM zittert jeder für die deutsche Manschaft und – um beim Radsport zu bleiben – bei der Tour de France erhofft man natürlich Etappensiege eines deutschen Teams. Aber wie genau ein Spitzensportler dorthin kommt, ist wenig Teil der öffentlichen Debatte oder des allgemeinen Interesses. „Für uns oder auch für mich selbst war das von Beginn an eigentlich ein Thema. Ich selbst war nur kurze Zeit im Fördersystem der Nationalmannschaft, habe mich dann bewusst für eine eigene, alternative Stuktur entschieden“, so Christian Grasmann. Um ihn herum versammelte er über die Jahre oft Leistungssportler, die in den Sportfördersystemen zu kurz kamen oder bewusst den Radsport neben einer Ausbildung oder gar einem Job ausübten. „Da muss man natürlich als Team damit rechnen, dass diese Fahrer nicht immer verfügbar sind, dass sie Prüfungszeiten haben oder ähnliches. Das verlangt Rücksicht seitens des Teams und der Einteilung für die Rennen, kann auch mal zu Engpässen führen. Wenn man sich so aufstellt, dann geht es auch nicht um schnellen Erfolg, sondern um eine nachhaltige Entwicklung. Den Druck nach Erfolg, der von Aussen kommt, dem müssen wir als Team aber auch standhalten, und das ist schwierig. Aber ich möchte die Leidenschaft, die ich habe, bei meinen Sportlern fördern und nicht zerstören, indem sie nur Anweisungen zu befolgen haben.“

Dabeisein ist alles lautet das viel zitierte Motto auch im Sport. „Der Weg ist eines meiner größten Ziele“, sagt Paul Rudys. Wohin der Weg am Ende in messbarer Form führt, sei dahingestellt. Wenn im System des Sports, das letztlich gesellschaftlich getragen ist, kein Platz für individuelle Konzepte ist, die auch zur heutigen Gegenwart passen, wer übernimmt dann die Aufgabe, Individualität statt bedingungsloses Streben nach Medaillen zu fördern?

Credits

Photo

— Zuperdehlie
Fotograf

Photo

— Philipp Bachl
Sports Coach

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