Wenn die Luft dünn wird

TOUR OF QINGHAI LAKE

Nach der Einladung zur Tour de Taiwan in 2023, bei der Pushbiker Roy Eefting die erste Etappe gewann vor Filippo Fortin auf Platz drei, stand für uns fest: wir möchten erneut Rennen in Asien fahren, die dortige Welt erleben, die Pushbikers und ihre Partner dort präsentieren. Im Juli stand ein besonderes Etappenrennen auf dem Rennplan. Die Tour of Qinghai Lake, benannt nach dem größten See Chinas, mit insgesamt acht Etappen. Teil der UCI Asia Tour mit der zweithöchsten Kategorie 2.Pro – und bekannt für ihren besonders hohen Verlauf.

Wenn die Luft im wahrsten Sinne des Wortes dünn wird, das erlebten unsere sieben Pushbikers Filippo, Felix, Martin, Matias, Patrick, Philip und Roy. Von Rennritualen, Etappen bis auf 3.900 Metern, Yaks am Straßenrand und Begeisterung für alles „Westliche“ lest ihr hier.

In a faraway land

„Wir wussten, dass es schwer werden würde. Qinghai Lake ist eine Rundfahrt mit hohem Niveau, bei der wir nicht zu den Favoriten gehören“, sagt Martin Meiler. Es ist der Saison-Höhepunkt für das Maloja Pushbikers Pro Team, ein Abenteuer, eine große Herausforderung an die Mannschaft, die 2023 als bestes deutsches Continental Team abschloss. So besteigen sieben Fahrer und vier Staff Mitglieder die Boeing 777 der China Airways nach Peking. Der anschließende Inlandsflug nach Xining, hoch in den Bergen, rüttelt und schüttelt die Pushbikers durch – die Turbulenzen waren so stark, dass die Maschine zwei stürmische Landeversuche brauchte. 1193 Kilometer auf dem Rad lagen nun vor ihnen, als die Pushbikers einige Tage vor Rennbeginn in China und der Provinz Qinghai, die sich über die Tibet-Hochebene erstreckt, ankamen. Und gleich wurde klar, dass dieses Rennen im kommunistischen China in geplanten Bahnen verläuft und gut organisiert ist: Alle Sportler wurden nach Anreise einem medizinischen Gesundheitscheck unterzogen, durchleuchtet, aufgenommen, wie beim 3D-Gesichts-Scan am Flughafen. Dann begann die Akklimatierung und Vorbereitung auf Renntage unter extremen Bedingungen.

Aus den Augen unseres Fotografen

Tag 1. Es geht Schlag auf Schlag: Gesundheitscheck, Team-Anmeldungen, eine Bühnenprobe. Unser Mechaniker Sam ist in seinem Element, checkt das Equipment, schraubt die Bikes zusammen und macht das Team startklar. Alle 22 teilnehmenden Teams sammeln sich und folgten ihrer zugeteilten Team-Botschafterin mit dem großen Namensschild in der Hand. Zum feierlichen Abschluss wird die chinesischen Flagge gehisst. Nationalstolz und Patriotismus stehen hier an oberster Stelle und sind in jeder Ecke zu spüren. Langsam wird mir klar, wie groß und perfekt organisiert diese Tour rund um den Qinghai-See wirklich war. Mit jeder Stunde, die verging, wurde es deutlicher: Wir sind hier mitten in Asien und das Abenteuer hat gerade erst begonnen.

Tag ein, Tag aus rollte der Wanderzirkus, der sich „Tour of Qinghai Lake“ nennt, von Großstadt zu Städtchen und wieder zurück. Jeden Morgen sah ich die Jungs – hungrig auf das Rennen und hungrig auf den Reis zum Frühstück. Früh aufstehen, Rennnummern an die Trikots klammern, das komplette Gepäck und Material in den Sprinter packen, der bereits zum nächsten Hotel in der Zielstadt vorausfuhr. Und immer vor Rennbeginn präsentierten die Organisatoren an der Startlinie eine opulente Show chinesischer Kultur. Beeindruckend und ungewohnt für unsere Augen.

Drei…
Zwei…
Eins…
POOuuuch !
Mit einem Schuss von der Startpistole setzt sich das farbüberladene Peloton in Bewegung. Die Farben der Teams wirbeln unstrukturiert durcheinander und die Hightech-Bikes summen. Das Rennen startet mit einer Ehrenrunde und verlässt Xining, in der Stadt ist jetzt Stille. Ich sitze im Teamwagen, umgeben von endlosen Bergen, auf einer unglaublichen Ausgangshöhe von bereits 2.275 Metern über dem Meeresspiegel. Die gesamte Tour stellt sich als gnadenloses Bergrennen heraus. 3900 Metern keine Seltenheit. Der Funk knackt ständig: abgehackte Befehle, nervöse Stimmen und die Pushbikers geben alles.

Die Berge bringen die Wahrheit ans Tageslicht. Hier gibt es keine Ausreden, keine Versteckspiele – jeder Rider zeigt jetzt, was wirklich in ihm steckt. Die dünne Höhenluft tut ihr Übriges, um die Grenzen auszutesten. Man kann es in ihren Gesichtern sehen: Der Schmerz, die Entschlossenheit, die letzten Reserven, die aufgebraucht werden.

Die Sprinter? Sie verfluchen die steilen Anstiege, als ob sie gegen sich selbst kämpfen würden.
Die Allrounder? Sie beißen sich verbissen durch, als ob sie mit purer Willenskraft den Berg erzwingen könnten.
Die Kletterer? Ah, die Kletterer! Sie sind in ihrem Element, statt sie zu schwächen, versuchen sie zu taktieren, obwohl die Strecke vor ihnen komplett unbekannt ist – wie eine Landkarte, die sich erst im Fahren entfaltet. Es ist ein epischer Kampf gegen die Natur, gegen die Konkurrenz und gegen sich selbst.

Es wird mir schnell klar: Alles ist in Sekunden vorbei – die Landschaft, die Leute, die Rennfahrer… alles! Im Teamwagen ist alles wie im Suchlauf, wie bei der Fast-Forward-Funktion eines Videos. Serpentinen hoch, Serpentinen runter. Ich klemm mich ein, halt mich fest, häng mich aus dem Auto, gurte die Kamera so fest in meine Hand, dass ich sie nicht verliere. Manchmal habe ich das Gefühl, der gestellte Teamwagen ist in der Luft und hat die Bodenhaftung verloren.

Durch die Funk-Walkie-Talkies bekommen wir regelmäßige Rennstandberichte von der Rennleitung… „Break Away, kkkkkrrrrh… 4 Riders! ‘Riders eighty-nine, one hundred, fifty-four, and seventy-one… kkkkkrrrrh… in the breakaway!’”… Leading Break Away, 58 Seconds from  Peloton… „Team Maloja, kkkkrrrrh. Tkkkkrrrrh, Team Maloja, please. Teamcar Maloja for Peloton!” Und dann das Gleiche noch einmal auf Chinesisch.

Jeden Tag gab es für uns als Begleitpersonal so viel zu sehen und zu erleben. Einzigartige Momentaufnahmen, nicht nur vom Radsport. Wir kommen aus den Bergen herunter und ich sehe Yaks am Straßenrand. Die Gesichter und die Bekleidung der Menschen erinnern immer mehr an Mongolen. Ab und zu schießt ein Radprofi an uns vorbei, und ich bin jedes Mal erleichtert, wenn alles gut geht. Irgendwann öffnet sich der Blick auf den Qinghai-See. Wir drei im Auto können es nicht fassen – der riesige, hell türkise See sieht aus wie ein Meer, das andere Ufer ist nicht zu sehen. Es ist überwältigend! Die Farben leuchten, für einen Moment sind wir einfach sprachlos, gefangen in der Schönheit dieses Anblicks. Für ein paar Sekunden rückt die Aufregung des Rennens in den Hintergrund.

Jetzt geht’s in die Gerade! Das Rennen wird schneller, das Peloton ist hungrig. Immer wieder gibt es Attacken, ein Break Away – das Spiel ist in vollem Gange. Einmal das Peloton verloren, wird es für jeden Fahrer oder jede Kleingruppe zur Hölle, aufzuholen. Je näher wir dem Ziel kommen, desto mehr erinnert das Peloton an einen Schwarm von Wespen, der unermüdlich gegen den Wind wechselt. Die Berichte über Funk sind jetzt durchgehend zu hören, die Spannung in der Luft ist greifbar. Immer mehr Menschen stehen an den Straßenrändern, die Stadt öffnet sich und wir rauschen mit mindestens 60 km/h in den Stadtkern hinein. Die Teamfahrzeuge werden rechts abgeleitet, während die Fahrer sich mit voller und letzter Kraft ins Ziel katapultieren. Die Emotionen kochen über, Adrenalin pulsiert durch die Adern – es ist ein beeindruckendes Spektakel aus Geschwindigkeit und Risiko.

Ich habe gesehen, wie Jungs die Berge hoch und runter gefahren sind, Strecken von 200 km mit einem Schnitt von über 45 km/h. Ich habe beobachtet, wie sie nach einem schweren Anstieg in dunklen Bergtunneln mit Vollgas weiterfahren und dann die Berge mit knapp 100 km/h hinunter schießen – im Regen! Es ist ein harter Sport und die Entbehrungen sind enorm. Doch inmitten all der Anstrengungen und Kämpfe gibt es eine unglaubliche Schönheit im Radsport – die Kameradschaft, der unbändige Wille und die Leidenschaft, die jeder Fahrer mitbringt. Es ist mehr als nur ein Wettkampf; es sind Emotionen, die einen tief berühren und nicht loslassen.“

(Stephanos Notopoulos)

Erst auf dem Flughafen vor dem Rückflug nach Hause hörten die Pushbikers, dass die Tour of Qinghai Lake das höchste Radrennen der Welt ist. Auf der ersten Etappe fuhr Roy Eefting auf Platz 13. Matias Malmberg erreichte auf der 5. Etappe Rang 15, bevor an Tag 6 nach 205 Kilometern von Xihaizhen nach Qilian seine ganze Leistung mit Platz 8 und damit einem Top 10 Ergebnis belohnt wurde. Vier unserer sieben Fahrer erreichten nach der letzten Etappe das Ziel. Im Gesamtclassent belegte Patrick Reissig Platz 44, Matias Malmberg Platz 66.

„Im Land selbst merkt man, das man es mit einem autoritären Regime zu tun hat. Top Organisation, zu einem hohen Preis. Internet gibt es nur über Umwege, die Menschen sind zwar leidenschaftlich dabei, wirken aber wie aus einer anderen Welt. Wenig Raum für Individualität, dafür eine große Begeisterung für alles, was irgendwie „westlich“ aussieht.“

(Patrick)

„Die Natur war krass. Es ist ganz anders, auf über 3.000 Metern Höhe zu sein. Oft haben wir erst auf den Bildern von Stefanos verstanden, wie schön es eigentlich war, da wir im Rennen nicht viel links rechts schauen konnten.“

(Philip)

„Wir hatten alle sehr anstrengende Tage, aber auch viele ganz besondere Eindrücke. Ich habe viel gesehen, viel gelernt und auch viel gelacht. Die Rennfahrer mussten sehr hart kämpfen, unser Staff hat mit großer Leidenschaft gearbeitet. Ich möchte mich für die aufregende Zeit in China herzlich bedanken. Bei unseren Fahrern und Laurin, Sarah und Sam für den Support vor Ort. Bei Stefanos für die außergewöhnlichen Bilder, die unsere Eindrücke so treffend illustrieren. Bei allen Sponsoren und denen, die uns im Hintergrund helfen und immer die Daumen drücken, ein herzliches Dankeschön für alles. Unsere Fahrer haben das Team Maloja Pushbikers und seine Partner in einer fernen Welt toll repräsentiert und für viel Aufmerksamkeit gesorgt.“

(Alexander Kastenhuber, DS)

Credits

— Riders

— Filippo Fortin

— Felix Meo

— Matias Malmberg

— Philip Weber

— Martin Meiler

— Patrick Reissig

— Roy Eefting

Danke an die Staff members

— Alexander Kastenhuber (DS)

— Sam Rees (Mechaniker)

— Laurin Winter (Physio)

— Sarah Kastenhuber (Soigneur)

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